Bei meinen Besuchen in Hoyerswerda ist mir aufgefallen, dass die dort agierenden Persönlichkeiten, Parteien und Gruppierungen ungewöhnlich fair, sachbezogen und sogar freundschaftlich miteinander umgehen. Gemeinsam scheinen sie alle das Wohl ihrer Stadt vor Augen zu haben. Bisher habe ich dies auf deren Notlage und auf den gemeinsamen Schulbesuch und die Vereinskameradschaften der Akteure zurückgeführt. Inzwischen glaube ich, einen weiteren Grund zu kennen. Die evangelische Johannes Kirchengemeinde und die Person ihres ehemaligen Pfarrers und späteren Superintendenten des Kirchenkreises Hoyerswerda Friedhart Vogel haben seit DDR-Zeiten einen ausgleichenden Einfluss auf die Bürger der Stadt ausgeübt. Vogel ist eine beeindruckende Persönlichkeit und wirkt wie einer, der durch und durch vom Humanismus geprägt ist.
Eigentlich wollte er nicht Theologe werden, doch in der Rückschau auf sein bisheriges Leben, glaubt er an eine Fügung Gottes und sieht sich nicht als Opfer der Willkür sozialistischer Bürokraten. Wegen seines Vaters wurde dem Sohn der Besuch der Oberschule verweigert. Also entschied sich Vogel, das Abitur an kirchlichen Ausbildungsstätten zu machen. Anschließend studiert er Theologie an der E.-M.-Arndt-Universität in Greifswald.
Nach dem Abschluss als Dipl.-Theologe kommt er als Vikar nach Hoyerswerda. Nach dem Besuch des angesehenen Predigerseminars in der Luther-Stadt Wittenberg, wurde er zum Pfarrer der Bergarbeiter-Gemeinde Laubusch in der Oberlausitz berufen. Immer blieb der in Görlitz geborene, der unter seinen Vorfahren auch Sorben zu nennen weiß, seiner Heimat eng verbunden. 1980 wurde er Pfarrer an der nach Johannes dem Täufer benannten Johanneskirche, fünf Jahre später Superintendent des Kirchenkreises Hoyerswerda. Er engagierte sich in vielen Gremien und geriet kirchlich wie politisch in ein bewegtes Umfeld.
Die Landeskirche, die er vertrat, wechselte dreimal ihren Namen und dies nicht aus Willkür, sondern im Nachvollzug politischer wie kirchlicher Entwicklungen. Zunächst hieß sie „Evangelische Kirche von Schlesien". Nach dem Mauerbau im August 1961 musste sie sich in „Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebiets" umbenennen. Nach der Wende nannte sie sich dann „Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz" und seit dem freiwilligen Kirchenzusammenschluss im Jahr 2004 führt sie den Namen „Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz". Im Sprengel Görlitz, in dem Vogel bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2006 tätig war, leben heute durch den Zusammenschluss mit den ehemaligen Sprengel Cottbus 200.000 evangelische Christen in über 200 Pfarreien.
Friedhart Vogel hat sich, wie er deutlich macht, nicht mit den Machthabern in der ehemaligen DDR angelegt. Er hat sich bemüht, den ihm Anvertrauten zu dienen und wo möglich zu helfen. Zehn Jahre wirkte er nebenamtlich in Görlitz bzw. Bautzen als Gefängnispfarrer. Es war keine leichte Aufgabe für ihn. Er war außerdem Kreisjungendpfarrer und Catholica-Beauftragter der Görlitzer Kirche.
Ein wenig hat er doch gegen den Stachel gelöckt. Dem „Friedens- und Umweltkreis", der bis heute besteht, bot er unter dem schützenden Dach der Kirche einen Hort auch für oppositionelle Anliegen und Gedanken. Er wurde auch zur Vertrauensperson für Bürger aus seiner Pfarrei, die einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt hatten oder dies tun wollten. Dabei zog er auch den Rostocker Rechtsanwalt Schnur zu Rate, der damals als Vertrauensanwalt der Evangelischen Kirche fungierte, 1989 den „Demokratischen Aufbruch" mitbegründete, einige Monate des-sen Vorsitzender war und schließlich als Stasi-Agent entlarvt wurde. Es waren Zeiten, in denen es schwer war zu entscheiden, wie man sich behaupten und auf wen man sich verlassen konnte. In dieser Situation hat Vogel das Einvernehmen mit seinem Gott gesucht und sich bemüht, Wege für die Mitmenschlichkeit zu finden.
Als die Wende kam fiel ihm, weil alle ihm vertrauten, die Rolle des Moderators des „Runden Tisches" zu der Stadt und des Kreises Hoyerswerdas, an dem die Hoyerswerdaer Bürger nach einem freien gemeinsamen Weg in die Zukunft suchten. Auch heute, viele Jahre danach, sieht er sich als Mittler, geistlicher Ratgeber und Helfer.
Nach der Wende war Friedhart Vogel zusätzlich Medienbeauftragter der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz, Vorsitzender der Versammlung der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien und war einige Zeit Mitglied des Medienrats. Politisch im Sinne Luthers ist er auch im Alter geblieben. Er unterstützt das Bestreben der Stadtverwaltung, aus Hoyerswerda ein Touristen- Wohn- und Dienstleistungszentrum zu entwickeln und wird sofort konkret: „Im Gebiet von Spremberg lagern Kupfer und Goldressourcen, deren Abbau mit den heutigen technischen Methoden möglich geworden ist. Hier können Arbeitsplätze entstehen, die für die nächsten zwei Generationen Beschäftigung für die Menschen in der gesamten Region bieten."
1996 wurde der rührige Theologe mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt und 2010 zum Ehrenbürger seiner Stadt ernannt. Vor ihm sind der Computererfinder Konrad Zuse und der Bildhauer Jürgen von Woyski mit diesem Titel ausgezeichnet worden. Da beide wenig später gestorben sind, hat Vogel augenzwinkernd die Frage gestellt, ob man ihn mit der Ernennung auch bald loswerden wolle. Wie ich mich überzeugen konnte, möchten die Hoyerswerdaer Bürger über politische und religiöse Grenzen hinweg den populären Kirchenmann aber noch lange in ihre Mitte behalten. Das wollen übrigens auch die Schnitzer, Holzkunstfachleute und Figurenhersteller aus dem Erzgebirge. Friedhart Vogel gehört zu den Sammlern und Förderern ihrer Fertigkeiten. Das Sammeln erzgebirgische Miniaturen des 19. bis 21. Jahrhunderts ist sein großes Hobby. Daneben kann man ihm seit 1996 auch als Moderator des alljährlichen Silvesterkonzertes des Sinfonischen Orchesters Hoyerswerda in der Lausitzhalle erleben.
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Fotos: Florian Russi