Plötzlich war sie da, niemand konnte sagen wie sie in die Oberlausitz gekommen war. Einen Namen hatte sie nicht, die wenigen Ärzte, die es zu dieser Zeit gab, schüttelten die Köpfe und wussten kein Mittel gegen die Krankheit. Sie befiel vor allem Kinder und verursachte schlimmes Fieber, Atemnot und Lähmungen. In Hoyerswerda und den um die Stadt herumliegenden Dörfern erkrankten innerhalb weniger Wochen mehr als 200 Kinder. Deren Eltern machten sich große Sorgen. Jeden Tag liefen sie zu den Heilkundigen, die sie kannten, und flehten um Hilfe. Die probierten alle ihnen bekannten Arzneien aus. Doch es war keine darunter, die wirklich geholfen hätte. Da trat ein junger Landarzt vor den Rat der Stadt Hoyerswerda und sagte: „Im Dorf Schwarzkollm, in der Nähe der Mühle befindet sich eine große Scheune. Wir sollten diese gemeinsam mit den Eltern putzen, säubern und so herrichten, dass für alle kranken Kinder dort Betten aufgestellt werden können. Zusammen mit den Schwestern des Klosters Marienthal werde ich dann versuchen, mit frischer Luft, Tees und Umschlägen das Leben für die Kinder so erträglich wie möglich zu machen. Danach werde ich nach Leipzig zur Universität fahren. Dort will ich alle Medizinprofessoren befragen, ob sie über die Krankheit etwas wissen, und in der Universitätsbibliothek werde ich nach Büchern suchen, in denen ähnliche Krankheitsfälle wie der unsere beschrieben und mögliche Heilverfahren empfohlen sind."
Die Ratsherren stimmten dem Plan zu, und schon bald lagen in der hergerichteten Scheune mehr als 200 Kinder, die darauf hofften, bald wieder gesund zu werden. Die Schwestern aus dem Klosters Marienthal gingen von Bett zu Bett, sprachen den Kranken Mut zu, wuschen und wickelten sie und kochten ihnen Tees, von denen sie wussten, dass sie ihnen gut taten. Als soweit alles gerichtet war, verabschiedete sich der Landarzt von ihnen und den Kindern. Er bestieg die Postkutsche, die nach Leipzig fuhr.
Nur zwei Tage später wurde die Tür zur Scheune wieder geöffnet. Der Landarzt der eine große Tasche bei sich trug, trat ein und begrüßte die Schwestern und die Kinder.
„Wie kann es sein, dass Ihr schon so bald wieder aus Leipzig zurück seid?", fragte die Oberin der Schwestern verwundert.
„Ich habe gefunden, was ich gesucht habe", antwortete der Mann und zog einige Flaschen aus seiner Tasche hervor. Dann forderte er die Schwestern auf, Gläser herbeizubringen und jedem der Kinder einen kleinen Schluck von dem Sud zu trinken zu geben, der sich in den Flaschen befand. Das taten sie, und es dauerte nicht lange bis das erste Kind, dann das zweite und dritte und schließlich alle von der Krankheit geheilt waren. Kinder, Schwestern, Eltern und die Mitglieder des Rates umarmten sich und weinten vor Freude.
Umso mehr waren sie verwundert, als zwei Wochen später eine Postkusche auf dem Marktplatz von Hoyerswerda anhielt und der Landarzt mit tiefliegenden Augen, eingefallenen Wangen und bleichem Gesicht ausstieg. „Ich habe alle Professoren um Rat gefragt. Keiner konnte mir helfen. Tag und Nacht habe ich in den medizinischen Büchern gelesen und nichts über die Krankheit gefunden. Ich bin verzweifelt", sagte er.
Darüber wunderten sich alle, die es hörten, und bald ging es von Mund zu Mund, dass es nur Krabat gewesen sein konnte, der mit seiner Zauberkraft die Kinder gerettet hatte. In großer Dankbarkeit ließen die Eltern auf dem Marktplatz von Wittichenau für ihn ein Denkmal errichten.
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aus: Florian Russi, Erbsensoldaten. Von Zwergen, Zauberern und Krabat, Weimar 2013.